Samstag, 23. November 2013

Ungebetene (und andere) Gäste

Es wird Winter. Wer wie ich Schichtdienst macht und (auch wie ich) mit einem gesunden Schlaf gesegnet ist, muss sich langsam aber sicher wieder nach dem Nachtdienst einen Wecker stellen, um überhaupt vor März noch Tageslicht abzubekommen.
Und wer in der Schule besser aufgepasst hat, deshalb regelmäßig tagsüber arbeiten geht und nicht Zuhause auf Hab und Gut aufpassen kann, sollte sich Gedanken machen, wie er sich ungebetene Gäste vom Leib hält. Denn Winterzeit ist leider Einbruchszeit. 

Während also landesweit mit Kampagnen wie „Riegel vor!“ unter dem Stichwort „Mobile Täter im Visier“ nach Kräften versucht wird, den Dieben das Leben schwerer zu machen haben wir es im Nachtdienst mit einem ganz besonderen Einbrecher zu tun. Genauer gesagt: Einer Einbrecherin.


Ein älterer Herr hat den Notruf gewählt und angegeben, in seiner Wohnung halte sich eine fremde Person auf. Für uns klang das eher nach einem Hilfeersuchen der Marke „Ich habe Gäste zum Trinken eingeladen, die ich jetzt nicht mehr kenne (-n möchte)." Denn wie kommt sonst jemand unbekanntes in die Wohnung, der uns nicht gleich als Einbrecher verkauft wird? 
Wir lassen uns also wie immer überraschen und finden uns kurz nach 23Uhr in einem gepflegten Mehrfamilienhaus wieder. Kunstblumen auf dem Treppenabsatz, Türen mit Häkelgardinchen hinter den Glaseinsätzen. Nicht der Ort für ausartende Saufgelage.

Erwartet werden wir von einem rüstigen älteren Herren. Er ist nüchtern, trägt Karohemd und Strickjacke und wirkt dem Hemd entsprechend abgeklärt. Seriös geradezu. 
In seinem Bett schlafe eine fremde Frau, sagt er, und stapft mit seinem aufwändig geschnitzten Gehstock durch die Diele ins Schlafzimmer. Aha? Die Auszubildende hat gar keine Gelegenheit, ihn weiter zu befragen, bevor er mit der Spitze des Stocks einigermaßen barsch in die Bettdecke seines Ehebettes piekst.
„Haaaalloooo??? Haaalllooooooo???“ Da liegt ja wirklich jemand. Bisher hatte ich angenommen, der freundliche Opi hätte vielleicht schlecht geträumt.

Nach zwei forschen Pieksern zuckt der Bettdeckenberg gewaltig zusammen. Die Auszubildende auch.
„Da ist eine Frau in meinem Bett. Sehen Sie?“ Sehen wir, und die Frau, die gerade unsanft geweckt und der Polizei überstellt werden soll ist - ihr ahnt es - seine eigene.

Wider meiner Erwartungen realisiert sie recht schnell, dass gerade drei Polizisten in ihr Schlafzimmer geplatzt sind und nimmt die Situation ziemlich gelassen, zumindest äußerlich. "Sie müssen keine Angst haben: Das ist Ihre Frau!" Er guckt verdutzt und weiß wohl noch nicht, was er mit dieser ziemlich unerwarteten Antwort anfangen soll.

Die Dame erzählt uns, dass ihr Mann seit einiger Zeit abends manchmal etwas verwirrt ist. Mit stattlichen 87 Jahren sei ihm dies natürlich verziehen, aber wie erklären wir ihm jetzt, dass die fremde Frau nicht nur die Nacht sondern gleich ihr ganzes Leben mit ihm verbringen möchte?
Bewährt hat sich erstmal einen Smalltalk zu starten und über die guten alten Zeiten zu plaudern. Das sollte ihm Sicherheit geben, denn die jungen Menschen auf dem Hochzeitsfoto aus der Nachkriegszeit erkennt er sofort und fühlt sich mit seiner Verwirrtheit gleich weniger hilflos. „Sehen Sie: Da bin ich mit meiner Frau.“ erklärt er ein bisschen stolz; und das kann er auch sein, bei dem strahlend hübschen Paar auf dem Schwarzweißfoto. Dann zeigt er mit dem Stock auf seine Frau und wir sind ein bisschen beruhigt. Sie auch, bis ihr Mann wieder ein wenig ratlos dreinschaut.
„Und was machen Sie jetzt mit der Frau in meinem Bett?“ - „Die schläft da heute Nacht. Das ist ja Ihre Frau, sehen Sie?“ - „Na gut… wenn sie freundlich ist…“ - "Klar ist sie das. Sie haben sie schließlich mal geheiratet!“ versucht die Auszubildende ihn zu überzeugen. Er winkt ab.
O je. Die Arme. Da kommt eine anstrengende Zeit auf sie zu. Wie schrecklich es sein muss, von seinem Mann, mit dem man deutlich mehr als das halbe Leben verbracht hat, nicht mehr erkannt zu werden. Und wie beängstigend, sich mit 87 Jahren plötzlich nachts im Bett neben einer fremden Frau zu vermuten.

Wir vergewissern uns, dass die Dame, die inzwischen hellwach und leicht zerzaust im Bademantel vor uns steht sich der Situation gewachsen fühlt, bevor wir uns zum nächsten Einsatz verabschieden müssen.

Zurück im Streifenwagen beschließen wir, einfach jung zu bleiben. Zumindest für die nächsten 60 Jahre.

Und unsere Türen und Fenster zu sichern, damit wir nicht nachts neben Einbrecherinnen wach werden...

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