Freitag, 27. September 2013

Nur noch kurz die Welt retten

Es ist schon einige Tage her, seit ich den Fall erlebt habe, den ich heute hier festhalten möchte. Es wird einer dieser "Was-es-nicht-alles-für-Leute-gibt"-Postings, bei denen ich mir bis vor ein paar Jahren noch mit heruntergeklappter Kinnlade die Hand vor die Stirn geklatscht und laut: "Das kann ja wohl nicht wahr sein!" gesagt hätte.
Inzwischen ist mir klar: Es ist wahr. Es gibt reichlich Menschen mit psychischen Problemen da draußen. Einige habt ihr ja schon kennengelernt.

Heute kommt ein ganz Spezieller hinzu. Es ist ein junger Familienvater aus völlig geordneten Verhältnissen. Eigene Bude, Frau und Kind, Job, Auto - ein totaler Normalo, der euch an der Supermarktkasse, im Schwimmbad und auch sonst nie aufgefallen wäre. Ich kenne ihn nur von Fotos - der Grund dafür wird sich gleich klären, aber auf den Bildern fand ich ihn echt sympathisch.

Ihr habt also alle ein Bild im Kopf, wir können zur Sache kommen:
An dem Tag, als seine Frau auf der Wache anrief und zufällig mich an der Strippe hatte, war ich eigentlich schon gut bedient mit den ganz normalen Verrückten. Ich hatte mich schon mit einem unversicherten Hängebauchschwein und anderen Alltäglichkeiten befasst, aaaaber es war an Ausgefallenheit noch deutlich Luft nach oben:

"Guten Tag. Ich muss meinen Mann als vermisst melden. Der ist in Polen." Die hörbar aufgelöste Frau am anderen Ende weint und ich habe den Eindruck: Auch wenn ich ihr bei Sachverhalten in Polen sicher nicht so einfach helfen kann, muss irgendwas passieren. "Ja?!" Ich lasse sie erstmal reden.
"Der sagt, meine Tochter und ich, wir sind der Teufel!". Naja, denke ich, das vermuten viele Männer... aber zu Späßen ist meine Anruferin vermutlich nicht aufgelegt. Mal hören, was sie noch zu sagen hat. "Der ist mit dem Auto weggefahren, weil er glaubt... ja weil... er... Er glaubt, in drei Tagen geht die Welt unter, und das will er verhindern!"
Oha. Apokalypse. Direkt so'n ganz dickes Ding. Andere hören den Strom fließen oder sehen, wie sich die Tapete bewegt, aber 'n Weltuntergang passt mir gerade eigentlich gar nicht ins Konzept. Wieder spare ich mir ach so lustige Kommentare à la: Na, da wollen wir ihn doch besser nicht aufhalten... sondern halte die Klappe und lasse sie weitererzählen. "Jetzt fährt er mit dem Auto nach Australien. Über Land. Hat er gesagt. Ich hab Angst, dass was passiert. Niemand kann ihn erreichen." 
Haaaah, da hat er sich ja einen guten Zeitpunkt ausgesucht: Sprit ist günstig; Langsam muss ich mir auf die Lippen beißen, um nicht doch einen blöden Scherz unterzubringen. Meine Anruferin heult jetzt Rotz und Wasser: "Der hat sein Handy aus. Ich kann den nicht erreichen. Was machen wir? Der muss zum Arzt gehen. Aber das will er nicht..."

Ich notiere alles, was man so braucht, um einen einsamen Weltretter samt Auto und (wie sich herausstellen wird) Cowboyhut wieder zu finden und vermittle die Dame an die Kriminalpolizei. Inzwischen wissen auch die Kollegen in Polen, dass da einer herumkurvt, auf dem Weg nach Australien, der besser mal einem Psychiater vorgestellt werden sollte. Nicht, dass ihm wirklich noch was zustößt. Weltrettung ist ja nun auch bestimmt nicht ganz ungefährlich.

Wenn also in ein paar Tagen die Welt nicht untergegangen ist, dann hat unser Weltretter entweder alles richtig gemacht, oder wir hatten einfach Glück, und er hat sich irgendwie geirrt - ist ja menschlich.

Und völlig egal, ob es nun geklappt hat, mit der Verhinderung der Apokalypse, oder nicht. Hoffentlich kommt er bald wieder wohlbehalten Zuhause an. Da machen sich Menschen Sorgen.

Drücken wir ihm also die Daumen!

Donnerstag, 5. September 2013

12.84€

Ich bin mal wieder sprachlos...
Bei dem Wetter ist man grundsätzlich auf noch mehr skurrile Begegnungen eingestellt als sowieso schon, aber der Kunde eben war mal wieder ein ganz besonders Exemplar:

Ein junger, sehr hagerer Mann betritt in Begleitung einer Frau (ich nehme an, seine Mutter) die Wache. 
Seine Pupillen würden jedem Uhu zur Ehre gereichen - und aus dem entsprechenden Milieu kenne ich ihn auch. Also: beruflich! 
Heute hat er andere Probleme, zumindest vordergründig: 
"Guten Tag. Also: Ich bin gerade beim Jobcenter gewesen. Tagessatz abholen, 12.84€ kriegt man da immer. Heute nich!"

"Jaaaaaa......?!?!" Ich rudere ein wenig mit den Armen, um ihm eine etwas konkretere Frage zu entlocken und verstehe bisher nur Bahnhof. Möchte der Knilch sich jetzt beschweren weil er sein Geld nicht bekommen hat? Woher soll die Polizei denn wissen, was ihm zusteht?

"Ja! Heute nich'! Der wollte mir 'n Gutschein geben. Für Lebensmittel."
"Ja. Habe ich verstanden. Und...?"
"Sonst gab's immer 12.84€!"
"Hören Sie - Wie soll ich denn da jetzt ihr Problem lösen? Meinen Sie ein Amt sagt "Neee, es gibt nix mehr." und dann kann die Polizei entscheiden, dass es doch was gibt?"

Schon wieder 'n Kandidat für den Naivitätspokal des Monats. Der ist aber leider seit gestern vergeben...

"Ja. Sonst gab's ja auch immer 12.84€ am Tag!"
Mir ist, als hätte ich das schonmal gehört.
"Und warum gab's die heute nicht?" frage ich ganz frech, als ob ich es nicht schon ahnte. 
"Weiß nich' - bloß: Was soll ich mit som Gutschein? Sonst habbich auch immer Geld gekriegt!"
"Ja. Heute aber nicht. Das wird ja einen Grund haben. Fragen Sie doch morgen mal den Sachbearbeiter."

"Meinen Sie ich kann den das fragen?"
"Klar - Der wird es im Gegensatz zu mir sogar wissen..."
"Ach so."
"Warum haben Sie eigentlich bei der Polizei gefragt?"
"Hm. Weil - weiß nich'"
Mehr als: "Ach so." fällt mir da auch nicht ein...

So ziehen sie ab, der hilflose junge Mann und seine Mutti. 
Und als ich hier sitze und warte, wer als nächstes klingelt, fällt mir unsere letzte Begegnung mit dem Experten ein: 

Da wollte er eine Anzeige erstatten, weil die Mütze, die er Stunden zuvor auf der Kirmes für fünf Euro gekauft hatte, doch gar nicht die hippe Trendmarke war sondern (oh Wunder) nur so ähnliche Applikationen hatte - ihr habt 'Bild vor Augen?! Adidas mit fünf Streifen - so in der Art...
Irgendwie gewinne ich den Eindruck, seine Probleme nicht lösen zu können. Ob das jetzt an mir liegt oder an den speziellen Problemen, sei eurer Einschätzung überlassen...

Dienstag, 3. September 2013

Grundlagen der Tatortfotografie (Teil 1)

Huch, da habe ich mich aber lange nicht gemeldet. Vielleicht weil einfach nichts berichtenswertes vorgefallen ist, vielleicht war ich aber auch einfach nicht aufmerksam genug. Gelangweilt haben wir uns jedenfalls nicht...

Als Lückenfüller erzähle ich heute mal ein Anekdötchen aus der Reihe: CSI geschaut und nichts dabei gelernt.

Wir nehmen im Frühdienst einen Einbruch auf. Unbekannte Täter haben eine Pizzeria (aus dem Qualitätssegment: hier wäre selbst Analogkäse ein Kompliment für den Koch) geknackt und den Spielautomaten aufgebrochen. Das Geld fehlt. 
Der Koch - bzw derjenige, der in letzter Zeit besser mal die Küche geputzt hätte - empfängt uns vor der Tür. Wir kennen einander aus diversen Verkehrskontrollen und auf dem Weg zum Lokal habe ich einen flüchtigen Blick auf seinen Pizzaflitzer geworfen. Wenn er endlich mal neue Reifen kauft, kommt er vielleicht sogar durch den TÜV.
Naja, heute sind wir ja hier, um zu helfen und nicht, um zu schimpfen.

Im Lokal flätzen sich Brüder und Schwiegereltern des Melders auf den ollen Schemeln. In der Ecke steht der offene Automat. 
Ich frage wie immer zuerst, ob schon jemand etwas am Tatort verändert hat. "Ja, meine Frau hat geputzt. Und Fenster gemacht. Boden auch. Und an der Theke, wo das Geld fehlt, gewischt. Ja und am Automaten, da war ja auch jemand dran, das mussten wir ja auch saubermachen..."
Na clever, denke ich. In der Bude sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa, aber wenn sie einmal nicht putzen sollen, dann beseitigen sie natürlich gekonnt alle Spuren.

Na, was soll's. Innerlich schrottgenervt nehme ich also das, was an Spuren übrig geblieben ist, hin und fange an, ein paar Fotos zu machen. 
Als ich zum Automaten komme ist der Geschädigte ziemlich zuversichtlich: "Ah, und dann machen Sie jetzt Bilder für die Fingerabdrücke?" 
Ich verstehe nicht recht, er hakt nach: "Das fotografieren Sie jetzt, und auf den Bildern kann man dann nachher die Fingerabdrücke sichern!"
Ich verstehe noch weniger. Er denkt also, mit der Wundermaschine aus dem Hause Nikon mache ich ein stinknormales Foto, gehe nachher mit Rußpulver über den Ausdruck und sehe auf dem Bild die Fingerabdrücke?! Na Hut ab. Soviel Naivität hätte einen Preis verdient. 

So ganz kann ich mir einen schnippischen Seitenhieb doch nicht verkneifen:
"Nein, auf den Bildern sieht man dann den Spielautomaten!" - "Ach sooooo..." (Das hätte er wohl nicht gedacht... auf dem Bild sieht man exakt das, was ich fotografiert habe. Der Wahnsinn!)

Vielleicht sollte er weniger CSI gucken und sich erstmal die Grundlagen der Fotografie erklären lassen... und zwischendurch mal die Küche putzen, auch wenn da keine Einbruchspuren sind...