Freitag, 5. April 2013

Nerven wie Stromkabel

Yeehaa! Ich habe Urlaub! 
Okay, genug geprahlt - Aber wenn schon keine neuen Favoriten eintrudeln bietet es sich doch förmlich an, den einen oder anderen alten Favoriten des Tages aus dem Hinterstübchen zu kramen, hübsch abzustauben und fein säuberlich hier einzusortieren. 
Da wäre zum Beispiel ein Einsatz aus der Reihe "ganz normaler Wahnsinn", wie ihn wohl alle Kollegen zu gut kennen dürften, aber da ich ja weiß, dass nicht nur Kollegen hier mitlesen, lasse ich euch trotzdem teilhaben.

Ich habe Spätdienst. Eine Frau um die Vierzig hat den Notruf gewählt. Sie begrüßt uns aufgeregt an der Tür eines gepflegten Einfamilienhauses und ist merklich erleichtert, dass wir endlich da sind. "...eigentlich nicht so gerne die Polizei ...blablabla... die Nachbarn denken, wenn ein Streifenwagen vor der Tür ...blabla... ausnahmsweise mal ihre Hilfe. (...) Kaffee? (...) Neffe bewirbt sich jetzt auch..."

Im Haus ist es, bis auf den pausenlosen Redeschwall unserer Melderin, still. Ich lasse den Blick schweifen und nicke ab und zu. Unterbrechen möchte ich sie noch nicht.
Hier dürfte ein wohl situiertes Ehepaar leben. Sie ist vielleicht Hausfrau und hat gerade die Blümchen gegossen, er sitzt im Büro. Heute Morgen hat sie ihm ein Bütterchen geschmiert, wie sie es immer tut und am Wochenende fahren beide mit dem Kombi zum Bummeln in die Stadt. Und sie tragen Wolfskin-Partnerlook, oder mindestens Tchibo. Oh, ich sollte weniger abschweifen und ihr besser zuhören:
"...deshalb bin ich ja auch so froh, dass sie gekommen sind. Das ist doch nicht normal, dass man den Strom hört." Endlich hält sie kurz inne. Wir hören: Nichts.
Inzwischen stehen wir im Schlafzimmer. Das Bett ist von der Wand gerückt. Neben dem Nachtschränkchen liegen die Stecker der Lampen auf dem Boden. Die Steckdosen sind leer. In der Deckenlampe fehlt die Glühbirne. 
"Ich bin doch nicht wahnsinnig. Oder? Sie hören das doch auch. Ich kann überhaupt nicht mehr schlafen. Das Telefon hab' ich auch rausgezogen. Sowieso alle Stecker. Ich mach schon immer Kerzen an, abends. Das Handy muss ich immer ausschalten - Ich werde hier noch verrückt. Da baut man sich ein Häuschen und dann passiert sowas. Der Elektriker hat auch nichts gefunden (...) Defekt (...) Angst (...) Sicherungen raus (...) Manchmal denke ich, da sind Menschen hinter der Wand. Die schalten was ein. Woher soll das sonst kommen? Sagen Sie's mir. Mein Mann sagt, ich spinne."
Da ist der Redeschwall ja wieder. Ihr Contra zu geben scheint aussichtslos. Sie hört den Strom und wie soll ich auf die Schnelle  beweisen, dass das nur in ihrem Kopf stattfindet?

Ich schlage vor, sie soll eine Nacht auf der Couch schlafen und am nächsten Morgen zum Hausarzt gehen. Dem hat sie bisher von ihrem Problem noch nichts erzählt. Es war ihr peinlich. Aber mein Hinweis, dass es nie falsch sein kann seinem Arzt zu sagen, dass man bei ihr im Haus den Strom hört und dass das ja irgendwie ein Gesundheitsrisiko sein könnte, kommt an.
Der Kollege verdreht im Hintergrund die Augen. Er würde ihr wohl lieber sagen, dass man wegen so einem Schwachsinn gefälligst nicht die Polizei ruft. 
Ich bequatsche die Dame einfach trotzdem so lange, bis sie die Nummer ihres Hausarztes aus dem Telefonbuch sucht. Wer sagt's denn: Geht doch.

Auf dem Weg zur Haustür werfe ich einen Blick ins Wohnzimmer. Draußen wird's langsam dunkel, aber der Fernseher läuft und ist stumm geschaltet. Der Fernseher läuft? Sie hat doch alle Stecker rausgezogen!? Tatsache. Schräg hinter der Tür sitzt ein Mann in Karohemd und Jeans auf dem Sofa. Er trägt Kopfhörer und scheint mich nicht gesehen zu haben, bis ich mich fast vor den Bildschirm stelle. Na, der Kerl hat Nerven! Seine Frau wählt die 110 und anstatt sie zu beruhigen oder irgendeinen Plan zu schmieden guckt der Herr gemütlich TV-Nachmittagsprogramm. Entweder ist er ganz schön abgezockt oder überfordert.

Während der Kollege versucht, die Dame des Hauses abzulenken, ermutige ich ihn, seine Frau doch zum Arzt zu begleiten. Er bleibt einigermaßen stur. "Ach. Was die sich da wieder einredet. Strom hören? Die spinnt!"

"Ich glaube nicht, dass Ihr Frau spinnt. Ich glaube, dass sie Hilfe braucht! Ihre vielleicht?! Zumindest hat sie nicht aus Langeweile den Notruf gewählt, alle Stecker rausgezogen und uns durch's ganze Haus geführt. Oder?" Huch. Der saß. Aber er wird's mir nicht übelnehmen. Und wenn morgen der Hausarzt nicht plump diagnostiziert, dass sie spinnt, dann könnte das mit der Hilfe sogar was werden.

Das Ganze ist schon ein paar Jahre her. Soweit ich weiß hat sie nicht wieder den Notruf gewählt und ich habe noch einige andere Wohnungen "entstrahlt", Redeschwälle angehört und Schatten an der Wand verjagt. 
Und wenn ich an dem Haus unserer Protagonistin vorbeifahre gucke ich immer, ob man den Fernseher flackern sieht. Vielleicht gucken die Zwei ja inzwischen wieder gemeinsam. Wär' doch was. Man muss ja nicht immer gleich Räuber schnappen, um erfolgreich gearbeitet zu haben. 

Oder?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen