Dienstag, 23. April 2013

Amanda Lear

Heute möchte ich euch von einer unserer Stammkundinnen erzählen und ich weiß nicht, ob euch gleich zum Schmunzeln oder Kopf schütteln zumute ist. Dieses Posting wird vermutlich ganz ohne Pointe auskommen, aber so ist das Leben. Manchmal ist da am Ende des Tages einfach keine.

Wir befinden uns in meinem letzten Nachtdienst.
Im Laufe der Nacht sind wir schon einige Male am Fenster der Frau vorbeigefahren, um die es gehen soll. Im Wohnzimmer blinkten immerzu die bunten Neonlichter eines maskenartigen Glasbildes, dessen Anblick jeden vernunftgesteuerten Menschen nach wenigen Momenten zur Weißglut bringt, und draußen war für ihre Verhältnisse recht leise Schlager zu hören. Amada Lear - Queen of Chinatown. Sowas in der Art. Ihr habt eine ungefähre Vorstellung. 
Jede Menge Krams hatte sie aus dem Fenster auf den Gehweg geworfen. Einen Hula-Huup-Reifen, ihren alten Staubsauger, Socken und irgendwelchen Schnickschnack. Alles, was sie wohl gerade nicht brauchte. Hinter den Gardinen lief sie stundenlang rastlos umher. Wir hatten sie bisher nicht zur Ruhe ermahnt. Solange sich die Nachbarn nicht gestört fühlen soll sie halt ihre Musik hören. Immerhin halten wir sie für wirr, aber nicht gefährlich. 

Um kurz nach fünf am Morgen beklagt sich dann doch noch ein Nachbar, dass er nicht schlafen kann.

Als wir klingeln, steht die Dame dann (mal wieder) sehr spärlich bekleidet vor uns. Immerhin ist sie dieses Mal nicht komplett nackt. Das kennen wir auch schon, und besonders mein Kollege freut sich über ihr Blümchennachthemd. 
In der Wohnung riecht es nach einer Mischung aus Katzenklo, alter Wäsche, Alkohol, Rauch und Müll. Es ist dieser Geruch, den wir schon so oft gerochen haben, und der das Ergebnis eines völlig aus dem Ruder gelaufenen Lebens zu sein scheint. So wie die Mischung aller Wasserfarben immer Braun ergibt, so ist die Mischung allen Chaos immer dieser Geruch.
Die Mischung aller McDonalds Produkte ergibt übrigens auch einen Sammelgeruch. Aber einen anderen... und ihr kennt ihn alle! ;-) Ich schweife schon wieder ab...

Unsere Ruhestörerin begrüßt mich mit meinem Namen und wischt sich mit dem Ärmel ihres Nachthemdes eine große Portion Schnodder aus dem Gesicht. Dann fängt sie an, wie ein Wasserfall komplett wirr und zusammenhanglos zu daher zu reden. Ihr gesetzlicher Betreuer, der eigentlich helfen soll, das Chaos in ihrem Leben zumindest in beherrschbare Bahnen zu lenken, hat sie angeblich ausgeraubt - über diesen Gedanken heult sie los greift mit ihren Schnodderfingern nach meiner Jacke. Och nee, bitte nicht anfassen... Ich weiche zurück und versuche, ein Gespräch über ihre Geldsorgen zu beginnen. Aussichtslos. Vermutlich wird sie ihr "Taschengeld" in Drogen und Alkohol investiert haben. Für Lebensmittel blieb da nicht mehr viel. 
Im nächsten Augenblick ist sie verliebt in den Kollegen, schnappt sich ein Plasikblumengesteck mit diversen klebrigen Anhaftungen vom Schrank und möchte ihm ein Geschenk machen. Noch während er mit spitzen Fingern dankend annehmen möchte, zieht sie ihr hastig Präsent zurück und schimpft, er sei ein blödes Arschloch, gerade bei ihr eingebrochen und solle sich jetzt verpissen.

Deutliche Worte. Aber wir kennen das alles schon und lassen sie stänkern. Ich bin mir außerdem sicher, dass sie uns damit nicht meint. Jetzt tapert sie in das, was eigentlich ein Badezimmer sein soll, aber irgendwie zu einem ausufernden Katzenklo mutiert ist.
Wann ihr Betreuer zuletzt bei ihr war, lässt sich nicht herausfinden, da muss ich wohl jemand anders fragen. Heute noch muss er sich jedenfalls kümmern. Dafür werden wir sorgen.

Wir verabschieden uns und ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt wahrgenommen hat, dass wir ihre "Kompaktanlage" mitgenommen haben, damit die Schlagerparty ein Ende hat und die Nachbar zur Ruhe kommen. Erklärt habe ich's ihr, aber da waren ihre Gedanken gerade irgendwo jenseits der Reichweite meiner Worte.

Gut, dass es das System der gesetzlichen Betreuer gibt, die es irgendwie schaffen, dass auch solche Extremfälle vielleicht wieder zur Ruhe kommen. Und wenn sie wieder ein bisschen näher an der Realität lebt, dann darf sie auch ihre Kompaktanlage zurück haben. 

Versprochen.



2 Kommentare:

  1. "So wie die Mischung aller Wasserfarben immer Braun ergibt, so ist die Mischung allen Chaos immer dieser Geruch."

    Ich habe es als Notarzt auch oft erlebt, konnte es bisher aber nicht benennen. Danke für den fast schon poetischen und wahren Vergleich.

    AntwortenLöschen
  2. Erstaunlich, wie es immer zu diesem EINEN Muff kommt, oder?

    AntwortenLöschen